Erste Platte nach 21 Jahren Elfengesang im Spätherbst: das neue Album von Peter Gabriel
Düsseldorf · Der frühere Kopf der Band Genesis veröffentlicht „i/o“ in drei verschiedenen Abmischungen. Das wäre nicht nötig gewesen. Denn das Ereignis des Albums ist allein die Stimme des 73-Jährigen.
01.12.2023, 11:24 Uhr
Einige Leute spotten über Peter Gabriel, weil der 73-Jährige die zwölf Stücke seines neuen Albums zunächst nicht gebündelt, sondern erstmal als digitale Singles veröffentlichte, und zwar so, wie es sich für jemanden gehört, der mit den höheren Mächten im Bunde ist: jeweils eine in jeder Vollmondnacht des Jahres. Außerdem mokieren sich ein paar Leute über seine Lyrics, die seien ja ganz schön hippiesk, etwa wenn er Verse wie „Kommt, legt die Waffen nieder!“ singe. Aber auf diese Menschen darf man nicht hören, ist Zeitverschwendung, denn wenn Peter Gabriel zu singen beginnt, wenn da also diese markante, vom englischen Bodennebel umwölkte Stimme anhebt, ist man froh, dass die 21 Jahre Jahre vorüber sind.
So lange hat Peter Gabriel gebraucht, um „i/o“ fertigzustellen. Und wie viel Kraft den Perfektionisten das gekostet haben dürfte, merkt man an der Art, wie das neue Werk dargereicht wird. Es kommt auf zwei CDs mit identischer Titelliste; die eine enthält den „Bright Mix“, die andere den „Dark Mix“. Gabriel konnte sich bei der Endproduktion einfach nicht entscheiden, und weil für Progrocker das Motto „Viel hilft viel“ gilt, gibt es in der Deluxe-Ausgabe noch eine dritte CD mit dem „In-Side Mix“. Die Unterschiede zwischen den Abmischungen sind bei aller Hochachtung vor Details, Nuancen und Tönungen allerdings marginal.
„i/o“ ist eindeutig eine Peter-Gabriel-Platte insofern, als man all das geboten bekommt, was den früheren Kopf der Band Genesis auszeichnet und was ihn vor allem in den 1980er Jahren als Solokünstler populär machte. „Road To Joy“ mutet an, als habe er es geschrieben, nachdem er sich nochmal „Sledgehammer“ angehörte hat. Für „Four Kind Of Horses“ bekommt er Unterstützung von Brian Eno. Bei der Piano-Ballade „Playing For Time“ meint man kurz, in ein altes Randy-Newman-Album geraten zu sein. „Olive Tree“ ist großes Esoterik-Kino. „This Is Home“ groovt ganz wunderbar. Und „Panopticum“ möchte man immer wieder hören, weil diese unglaubliche Stimme sich so mächtig über die Drums erhebt und den Anschein erweckt, als stehe die Zeit seit 2002 still.
Genau dieser Vorzug ist zugleich das Manko der Platte. Wer gehofft hatte, Peter Gabriel würde im Spätherbst seiner Karriere noch einmal eine avantgardistische Großtat wagen, wird enttäuscht. Die Form der Songs ist klassisch, die Produktion auf höchstem Niveau gediegen, die von Tony Levin am Bass, Manu Katché an den Drums und David Rhodes an der Gitarre umgesetzten Arrangements sind virtuos.
Auf seiner Tournee im Sommer präsentierte Peter Gabriel dem unvorbereiteten Publikum bereits alle neuen Stücke. Das ist ungewöhnlich, aber er vertraut seiner Hörerschaft, er weiß, die können damit schon etwas anfangen. Und er hat ja recht. Und so hört man „Love Can Heal“, ein schwebendes Songgespinst, für das eine Handvoll Elfen aus den Hochmooren mit dem alten Magier singen. Gabriel wispert ewig gültige Weisheiten, und wer ein Herz hat, wird das schön finden und nicht kitschig.
Liebe kann heilen, sagt Gabriel. Stimmt total.
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